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Kurzanalyse Bundestagswahl 2009

 

Die Bundestagswahl, aber auch die beiden Landtagswahlen, geben Anlaß für einen Blick auf die im Vorfeld der Bundestagswahl heiß diskutierte Frage, daß sich eine Bundesregierung auf eine Mehrheit stützen könnte, die diese Überhangmandaten zu verdanken hat. Für den Bund ist diese Befürchtung, wie zu erwarten war, nicht eingetreten, in Schleswig-Holstein ist diese Konstellation eingetreten, allerdings aufgrund landesspezifischer Besonderheiten im Wahlrecht, aber dazu gleich mehr.

Das Ergebnis der Bundestagswahl zeichnete sich dadurch aus, daß die beiden großen Parteien CDU/CSU und SPD offensichtlich nicht mehr in der Lage waren, prozentuale Stimmenanteile auszubauen. Während die SPD dramatisch einbrach, mußte die Union leichte Stimmverluste hinnehmen, die wiederum in Bayern deutlich stärker ausfielen als im restlichen Bundesgebiet. Gewinner der Wahl waren die kleinen Parteien FDP, Grüne und Linke, die allesamt zulegen konnten und zweistellige Ergebnisse erzielten. Dank der Zuwächse bei der FDP wurde es für die CDU/CSU möglich, mit dieser eine Koalitionsregierung einzugehen.

Erstmals schaffte es die Linkspartei im Rahmen dieser Bundestagswahlen, im gesamten Bundesgebiet über 5% zu liegen: In allen Bundesländern erreichte die Linkspartei im Zweitstimmenergebnis über 5%, selbst in Bayern, wo dies am wenigsten zu erwarten gewesen wäre. Bundesweit liegt die Linkspartei abermals vor den Grünen.

Diese Entwicklung begünstige das Entstehen zahlreicher Überhangmandate. Zur Erinnerung: Überhangmandate entstehen, wenn in einem Bundesland eine Partei mehr Direktmandate erzielt als ihr nach Zweitstimmen in diesem Bundesland zustehen. Weil diese Überhangmandate bei der Bundestagswahl nicht ausgeglichen werden, verzerren sie das Zweitstimmenergebnis und wirken damit grundsätzlich demokratietheoretisch und legitimatorisch problematisch. Auf Bundesebene hat jedoch diese Verzerrung in der Regel zur Stärkung der ohnehin bestehen Mehrheit geführt. Entgegen der Diskussionen im Vorfeld der Bundestagswahl führten die Überhangmandate für die CDU nicht zu einer Mehrheit durch Überhangmandate, sondern nur zu einem Ausbau der bereits vorhandenen Mehrheit, wie es auch in der Vergangenheit bislang stets der Fall war. Weil das Wahlgebiet bei der Bundestagswahl groß ist und die Ergebnisse aus den anderen Bundesländern ausgleichend wirken, fallen die Überhangmandate bei der Bundestagswahl nicht so sehr ins Gewicht, was die Mehrheitsbildung angeht.

Mehr Überhangmandate durch schwächere Großparteien

Allerdings zeigt sich eine Zunahme der Überhangmandate. Der 17. Bundestag ist der größte seit der Wahlkreisreform für das 2002. Dies hängt damit zusammen, daß sich die Parteienkonstellation geändert hat. Während es früher stets eine der beiden großen Parteien an die 40% oder darüber schaffte, scheint diese Marke seit 2002 nicht mehr so leicht zu erreichen zu sein. Bei früheren Wahlen gab es somit stets eine starke große Partei, die auch in den Bundesländern entsprechend hohe Zweitstimmenanteile schaffte, während die unterlegene große Partei doch zumindest in den meisten Bundesländern sogenannte »Hochburgen« hatte, in denen sie regelmäßig die Direktmandate errang. Diese Kombination senkte die Zahl der Überhangmandate, sofern überhaupt welche entstanden, weil die Zahl der Direktmandate der überlegenen Partei durch die Hochburgen der unterlegenen Partei reduziert wurde.

Zunehmend ist jedoch zu beobachten, daß durch die Schwächung der großen Parteien sich auch die Hochburgen abschleifen und es für die überlegene Partei nun leichter wird, alle Direktmandate in einem Bundesland zu holen, was bei gleichzeitiger grundsätzlicher Schwäche zu Überhangmandaten führt. Weil auch die SPD in ihren Hochburgen schwächelt, können diese nun leichter von der grundsätzlich ebenfalls nicht sehr starken Union leichter genommen werden. Zwei der Ausprägungen dieser Entwicklung hat es bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Schleswig-Holstein gegeben:

In Brandenburg teilten sich SPD und Linke. die Wahlkreise weitgehend untereinander auf, was dazu führte, daß es nicht zu Überhangmandaten kam. Von den 31 Sitzen der SPD gewann diese 19 über Direktmandate. Die Linke. kam auf 26 Sitze, wovon 21 über Direktmandate gewonnen wurde, von den 19 Sitzen der CDU errang diese vier über Direktmandate. Zwar haben die Parteien in Brandenburg keine markanten Hochburgen bilden können, bei denen sie weit über 50% der abgegebenen Stimmen erzielen, jedoch verhinderten die annähernd gleiche Stärke von SPD und Linkspartei die Entstehung von Überhangmandaten.

Halbherziger Ausgleich von Überhangmandaten in Schleswig-Holstein

Anders in Schleswig-Holstein, wo noch eine Besonderheit des Wahlrechtes hinzukommt. Die CDU gewann die Direktmandate in 34 der 40 Wahlkreise. Über das Zweitstimmenergebnis der CDU hätten ihr jedoch nur 23 Mandate zugestanden, womit nun elf Überhangmandate entstanden. Das Wahlgesetz in Schleswig-Holstein sieht nun vor, daß nur die Überhangmandate ausgeglichen werden, also den elf Überhangmandaten nunmehr elf Ausgleichsmandate gegenüberstehen, die entsprechend auf die Parteien verteilt werden. Dies führte dazu, daß die CDU nur acht Mandate bekommen hätte. Weil ihr aber die drei weiteren Mandate zustanden, wurden diese der CDU auch zugeschlagen. Nun hatte der Landtag eine gerade Zahl von Abgeordneten, was das Wahlrecht verbietet, und in der Verteilung der Mandate war nun die FDP an der Reihe. So kam es, daß CDU und FDP zwar bei der Landtagswahl weniger Stimmen bekommen haben als SPD, Grüne, SSW und Linkspartei zusammen, jedoch über mehr Mandate im Landtag verfügen und so die Regierung stellen können (zu dem Vorgang vergleiche auch: Süddeutsche Zeitung, 30.09.2009: Für eine Wahlrechtsreform in Kiel, Seite 6). Das genaue Verhältnis: CDU und FDP erhielten zusammen 742 160 Zweitstimmen, SPD, Grüne, Linke und SSW erhielten zusammen 769 454 Zweitstimmen.

Der Befund ist eindeutig: Durch die Begrenzung der Ausgleichsmandate im Wahlrecht wurde der Wählerwille in Schleswig-Holstein ins Gegenteil verkehrt. Wären über Ausgleichsmandate das Verhältnis der Zweitstimmen hergestellt worden, hätte der Landtag 101 Sitze statt 95 Sitze gehabt. Sinn der Regelung in Schleswig-Holstein war, die Ausdehnung des Landtags als Folge von Überhangmandaten zu begrenzen. Es ist offensichtlich, daß hier das Kostenargument, die Zahl der Abgeordneten und damit der zu zahlenden Diäten zu begrenzen, zulasten der demokratischen Effizienz des Wahlrechts führte. Durch diese Begrenzung schlagen die Eigenschaften des Mehrheitswahlrechts bei den Erststimmen auf die Mandatsverteilung im Landtag in einer Weise durch, die den Wählerwillen nicht wiederspiegelt.

Nun wird in Schleswig-Holstein über eine Reduzierung der Wahlkreise diskutiert. Dies wird jedoch das Problem nicht lösen, sondern hier müßte die Klausel gestrichen werden, die die Zahl der Ausgleichsmandate begrenzt. Nur so kann die Dominanz der Verhältniswahl für das Wahlergebnis wiederhergestellt werden.

Die Ursache für die vielen Überhangmandate ist bereits bezeichnet: Der CDU hätten nach Zweitstimmen nur 23 Mandate zugestanden, jedoch gewann sie in den Wahlkreisen 34 Mandate. Dies kam zustande, weil die SPD schwächelte und es nicht schaffte, eine entsprechende Anzahl von Direktmandaten zu gewinnen. Dies wiederum ist eine Folge der stärkeren Verteilung der Stimmen auf die Parteien generell, denn auch in Schleswig-Holstein erzielten FDP und Grüne zweistellige Ergebnisse. Weil die Wähler/innen der Grünen jedoch nicht im ausreichenden Maße taktisch wählten sondern auch oftmals zahlreiche Erststimmen den Grünen gaben, fehlten der SPD in einigen Wahlkreisen nur wenige Prozentpunkte, um das Direktmandat zu erreichen. Das Fehlen von Hochburgen für die SPD führte dazu, daß die CDU trotz Schwäche zahlreiche Überhangmandate erreichen konnte, genau elf Mandate mehr als ihr nach Zweitstimmen zustanden.

Primat der Verhältniswahl durchsetzen

Hier offenbart sich - neben dem landesspezifischen Umgang mit Überhang- und Ausgleichsmandaten - eine Schwäche des personalisierten Verhältniswahlrechts, die dann zum Zuge kommt, wenn es keine großen Parteien mehr gibt, sondern sich die Parteien bei ihren Wahlergebnissen stärker aneinander annähern. Je breiter das Parteienspektrum wird, und je mehr sich die Parteien in den Wahlergebnissen aneinander annähern, wird es zu Problemen mit den Überhangmandaten kommen, wenn eine Partei leicht stärker ist als die anderen. Die Lösung des Problems könnte darin bestehen, die Überhangmandate auszugleichen und somit das Primat des Verhältniswahlrechts wiederherzustellen. Die Alternative wäre ein reines Verhältniswahlrecht, welches auf Direktmandate verzichtet.

Letzteres erscheint indes jedoch nicht die Tendenz der laufenden Debatten zu sein. Schleswig-Holstein hat vor kurzem das System aus Erst- und Zweitstimme überhaupt eingeführt, und auch in Nordrhein-Westfalen wird bei der Landtagswahl 2010 zum ersten Mal mit Erst- und Zweitstimme gewählt werden. Die großen Parteien versprechen sich von einem solchen System Vorteile, eben auch durch die Überhangmandate, und zudem ermöglicht das System aus Erst- und Zweitstimmen den Wähler/innen kleiner Parteien, Koalitionen zu »wählen«, indem sie zum Beispiel die Erststimme der CDU und die Zweitstimme der FDP geben, wodurch beide Parteien gestärkt werden sollen, alternativ können Wähler/innen die Erststimme der SPD und die Zweitstimme den Grünen geben.

Im Bund wird es durch das Urteil des Verfassungsgerichts zur sogenannten »negativen Stimmgewichtung« eine Neufassung des Wahlrechts bis 2011 geben. Wie hierbei mit der Problematik der Überhangmandate verfahren wird, wird nach diesem Wahlergebnis von Schleswig-Holstein interessant sein zu beobachten, wenngleich auch durch den Umstand, daß es im Bund keine Ausgleichsmandate gibt, die Situation nur begrenzt vergleichbar ist. Noch einmal sei darauf verwiesen, daß das Problem der Überhangmandate im Bundes nicht so virulent ist wie in einem Bundesland, weil durch das Gesamtergebnis aus den sechzehn Bundesländern die Wirkung von Überhangmandaten in einzelnen Ländern relativiert wird.

Dennoch ist das Problem nicht von der Hand zu weisen. Das Mehrheitswahlrecht keine unmittelbare Umsetzung des Wählerwillens. Durch den Umstand, daß ein Wahlkreis bei entsprechender Verteilung bereits mit einem Drittel oder gar einem Vierteil der Stimmen zu gewinnen ist, können zwei Drittel oder gar drei Viertel der Stimmen einfach unter den Tisch fallen. Weil Stichwahlen im Rahmen der Erststimmen für Parlament nicht üblich und auch nicht sinnvoll sind, weil dadurch dieses Element gegenüber der Verhältniswahl durch die Zweitstimmen zu sehr aufgewertet würde, muß es im Wahlrecht zu einer Stärkung des Primats der Zweitstimme, also der Verhältniswahl kommen. Das Problem wird sich nur dann von selbst erledigen, wenn es einzelnen Parteien wieder gelingt, Wahlergebnisse von 40% und mehr zu erzielen, während die unterlegenen Parteien Hochburgen bilden, in denen sie durch die Gewinnung von Direktmandaten die Zahl der Überhangmandate der siegreichen Partei begrenzen oder diese gar komplett verhindern. Eine solche Entwicklung scheint jedoch zur Zeit nicht bevor zustehen.

Insofern ist es notwendig, bei einer Änderung des Wahlrechtes die Dominanz der Zweitstimmen, also der Verhältniswahl, gegenüber der Mehrheitswahl bei den Erststimmen zu stärken. Dies kann durch Ausgleichsmandate geschehen oder aber durch die Aufgabe der Erststimme. Nach wie vor könnten Kandidaten in den Wahlkreisen antreten, um die Personalisierung der Parteien vor Ort zu bewirken, eine direkte Wahl dieser Kandidaten wäre dann indes nicht mehr möglich. Dieses Konzept einer reinen Verhältniswahl würde dazu führen, daß der Wählerwille unmittelbar auch in der Besetzung der Sitze des Parlaments zum Ausdruck käme. Aus den obengenannten Gründen dürfte eine solche Reform jedoch für 2011 wohl noch nicht zu erwarten sein.

© Udo Ehrich 30.09.2009